Indras Juwelenkette

Pratardana war der Sohn von Divodasa, dem König von Kashi, und ein in den Veden Belesener. Er entschied jede Debatte für sich. Als er keinen intellektuellen Gegner mehr hatte beschloss er eines Tages, Indra, den König der Götter, herauszufordern.

Doch sein Herz war nicht rein, das machte es schwer, Indra zu erreichen. Viele Hindernisse galt es zu überwinden ab dem Tag als er die Erde verließ.

Er stieg einen schmalen Bergpfad hinauf und blickte auf das liebliche Tal hinab. Über ihm spielten himmlische Musikanten, Nymphen tanzten.

Weiter ging es in Richtung Amaravati, Indras Hauptstadt. Zuerst erreichte er einen Garten, in dem der wunscherfüllender Baum wuchs, daneben graste die wunscherfüllende Kuh. Weiter ging der Weg, endlich sah er Indras Palast. Davor stand Indra mit seinem Pferd Ucchaishravas und seinem Elefanten Airavata. In seinen Händen trug er Donnerkeil und Juwelenkette. Diese Juwelen waren etwas Besonderes, ein jedes Juwel trug alle Juwelen in sich, so hatte man, wenn man ein Juwel sah, alle gesehen.

Indra wusste, welche Beschwernisse Pratardana auf sich genommen hatte, er gewährte ihm einen Wunsch. Pratardana dachte nach und meinte dann höflich: ‚Was immer dir gefällt, gib es mir.‘

‚Ich bin der Gebende, du der Nehmende. So kann es nicht sein, dass ich die Gunst für dich auswähle. Das musst du schon selbst tun.‘

‚Oh Indra, wenn ich wähle ist es keine Gunst.‘

‚Erkenne dein Selbst, das ist die segensreichste Gunst. Wer das Selbst erkannt hat, den kann nichts verletzen. Er sehnt sich stets nur nach dem Guten.‘

Pratardana schwieg.

Dann erklärte Indra: ‚Das Selbst ist der Lebensodem (Prana). Das Selbst ist Unsterblichkeit. Das Leben ist Atem und Atem ist das Leben. Solange du atmest lebst du. Wer das Selbst als das Leben erkennt, der erfreut sich an den Sinnen in dieser Welt und an Unsterblichkeit in der anderen Welt.‘

Pratardana verstand das Gesagte nicht: ‚Hat ein jeder Sinn seinen eigenen Ursprung oder haben alle Sinne denselben?‘

Indra antwortete: ‚Wenn sie nicht eine Ursache hätten, wie könnte das Auge sehen? Wie könnte das Ohr hören? Wie könnte die Stimme sprechen? Wie könnte der Geist denken?

Sie alle kommen aus derselben Quelle, dem Leben. Wenn wir sprechen spricht das Leben. Wenn wir sehen sieht das Leben. Wenn wir hören hört das Leben. Wenn wir denken denkt das Leben.‘

Pratardana musste nachfragen:
‚Man kann ohne Sprache leben, es gibt viele Stumme in dieser Welt.
Man kann ohne Sehen leben, es gibt viele Blinde in dieser Welt.
Man kann ohne Hören leben, es gibt viele Taube in dieser Welt.
Man kann ohne Denken leben, es gibt viele Trottel in dieser Welt.‘

Indra erwiderte: ‚Doch ohne Atem kann man nicht leben. Und der Atem erhält sein Leben von Bewusstsein. Was ist der Atem? Reines Bewusstsein. Was ist reines Bewusstsein? Der Atem.‘

Pratardana fragte nochmals: ‚Wie hängen Bewusstsein und Sinne zusammen?‘

Indra antwortete:
‚Wenn Bewusstsein über unsere Sprache regiert, dann sprechen wir Sprache.
Wenn Bewusstsein über unsere Augen regiert, dann sehen wir Dinge.
Wenn Bewusstsein über unsere Ohren regiert, dann hören wir Klänge.
Wenn Bewusstsein über unsere Zunge regiert, dann schmecken wir alle Arten von Geschmack.
Wenn Bewusstsein über unsere Füße regiert, dann gehen wir wohin wir wollen.
Wenn Bewusstsein über unseren Geist regiert, dann denken wir Gedanken.‘

Pratardana fragte: ‚Oh Indra, kann man ohne Bewusstsein leben?‘

Indra antworte: ‚Sicher, man kann, doch
ohne Bewusstsein können wir nicht sprechen und sagen ‚Mein Geist war wo anders, ich kann mich nicht erinnern‘.
Ohne Bewusstsein können wir nicht sehen und sagen ‚Mein Geist war wo anders, ich kann nicht sehen‘.
Ohne Bewusstsein können wir nicht hören und sagen ‚Mein Geist war wo anders, ich kann nicht hören‘.
Ohne Bewusstsein können wir nicht schmecken und sagen ‚Mein Geist war wo anders, ich kann nicht schmecken‘.
Ohne Bewusstsein bewegen sich unsere Füße und wir können nicht sagen, Mein Geist war wo anders, ich kann nicht gehen‘.‘

Pratardana war immer noch durcheinander: ‚Doch um zu wissen was wir sprechen sollten wir die Sprache kennen, um zu wissen was wir sehen, sollten wir das Gesehene kennen.

Indra schwieg.

Pratardan hatte über die Ganzheit gelernt. Er verlor seinen Stolz, wurde König von Kashi und regierte sein Königreich weise, er wusste, er und sein Volk atmen denselben Odem. Er sah das Leben als Ganzes und nicht als ein Puzzle.

Aus dem Englischen mit freundlicher Genehmigung von Sushma Gupta.

Der aus der Kaushitaki Upanishade übernommene Text beinhaltet nur den Dialog Pratardanas mit Indra, der auch etwas länger ist.

Die Beschreibung von Pratardanas Ankunft hat Sushma Gupta hinzugefügt.

Die Juwelenkette Indras, die sie erwähnt, ist als ‚Indras Netz‘ bekannt. Ein Begriff, der Verbindung und Abhängigkeit aller Wesen dieses Universums symbolisiert. Wir sind Teile des Ganzen, das Ganze sind wir. Nichts existiert allein – die sogenannte Einheit in der Vielheit. Das Eine wird Brahman genannt und alles ist der Widerschein Brahmans. Die Upanishaden lehren es mit der Großen Aussage ‚Das bist du – Tat tvam asi‘, wobei ‚Das‘ Brahman ist.

Jedes Juwel in Indras Netz ist der Widerschein des anderen. Wir sind der Widerschein des Universums. Das Ganze und seine Teile sind untrennbar miteinander verbunden. Jedes Juwel ist ein Mikrokosmos des gesamten Netzes, Ursache und Wirkung des Ganzen. Außerhalb des Netzes gibt es nichts. Brahman ist der ewige Urgrund allen Seins. Brahman ist Indras Netz. Brahman durchdringt alles und alles ist von Brahman durchdrungen.